CDU gegen das Vergessen
Auch, wenn wir nur eine Kleinstadt sind: Uslar war Teil des deutschen Abgrunds, war mitbeteiligt an den Verbrechen des Nationalsozialismus. Damit sich Geschichte nicht wiederholt, dürfen wir das Geschehene nicht vergessen. Daher ist eine öffentliche Erinnerungskultur der CDU wichtig.
Der Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar, ausgerufen 1996 vom früheren Bundespräsidenten Roman Herzog (CDU) mit Fokus auf ein Gedenken vor Ort, in den Städten und Gemeinden, wurde erstmals in der Zeit von Bürgermeister Stephan Kaiser (CDU) als städtische Veranstaltung in Uslar begangen.Und ebenfalls erstmals im Namen der Stadt hat 2025 Bürgermeister Torsten Bauer (CDU) im Jahr 2025 zur gemeinsamen Erinnerung an die Novemberpogrome 1938 aufgerufen.
Text des Stadtarchivars im Wortlaut
Unter dem Titel "Jüdisches Leben in Uslar" hat Stadtarchivar Dr. Daniel Althaus gleichzeitig auch Beispiele des Antisemitismus in Uslar zusammengefasst. Hier veröffentlichen wir den kompletten Text im Wortlaut (Ansprache vom 9. November 2025, auch als Anlage im pdf-Format) und bedenken uns für sein Einverständnis.
"Das Gedenken an die Pogromnacht vom 9. November 1938 ist eine Gelegenheit, um einen Blick zurück in die Geschichte der Juden in unserer Stadt zu werfen, denn diese Vorgeschichte kann zum Teil erklären, wie es zu den Ereignissen kam, an die wir uns heute gemeinsam erinnern wollen.
Der älteste Beleg für einen Juden in Uslar findet sich im Jahr 1403, als in einer Urkunde ein „Sampson to Usler“ genannt wird. Dieser lebte damals unter dem landesherrlichen Schutz von Herzog Otto dem Einäugigen in unserer Stadt. In den Jahren 1545 und 1554 lebte ebenfalls ein Jude namens David in Uslar, den die Herzogin Elisabeth von Braunschweig und Lüneburg im Fürstentum Calenberg-Göttingen in zwei Briefen erwähnte.
1553 und nochmals 1574 verfügte ihr Sohn Erich II. die Verbannung aller Juden aus seinem Herzogtum. Da sich dies nicht durchsetzen ließ, belegte er sie stattdessen mit einer Sondersteuer und verpflichtete sie zur Zahlung eines jährlichen Schutzgeldes. 1618 stellte der in Vernawahlshausen wohnende Jude Israel einen Antrag bei der Landdrostei Hildesheim, mit der Bitte, sich in Uslar niederlassen zu dürfen. Der Landdrost hatte keine Einwände, aber der Superintendent wehrte sich vehement dagegen. „Um die Ehr Christi willen“, bat er den Rat der Stadt Uslar, „den Juden nicht einzunehmen. Bei Wiedereinnahme wird Christ unser Heiland mehr und höher verlästert“ und „zu äußerstem Derben und Untergang der Stadt Uslar [führen]“. Außerdem glaubte er, dass es schon genug Wucherer, Schinder und Gotteslästerer in der Stadt gäbe und es durch den Zuzug des Juden noch mehr werden. An diesen Beispielen wird deutlich, dass Juden auch in den welfischen Herzogtümern nur rechtlich sehr eingeschränkt und unter geringem sozialem Ansehen leben konnten.
Ab 1687 gingen die welfischen Herzöge dazu über, bestimmte Bereiche der jüdischen Rechtsverhältnisse in einzelnen Verordnungen zu klären, die den Grundstock für die künftige Judengesetzgebung bildeten. Ausschließlich mit landesherrlichem Schutz versehene Juden erhielten nun ein befristetes Aufenthaltsrecht, das aber weiterhin den Erwerb eines Schutzbriefes voraussetzte. Diese Briefe umfassten einen Zeitraum von sechs bis zehn Jahren und waren jährlich durch Schutzgeldzahlungen zu erneuern. Der landesherrliche Schutz war an einen bestimmten Wohnort gebunden und umfasste auch die Ehefrau und die unverheirateten Kinder sowie das persönliche Eigentum. Ohne ausdrückliche Zustimmung des Landesherrn war es Juden damals nicht gestattet ein Grundstück oder ein Haus zu erwerben. Auch der Zugang zu zunftmäßig organisierten Berufen war ihnen nicht gestattet.
Angesichts der beschränkten Erwerbsmöglichkeiten blieb den Juden auch in unserer Region meist nur die Betätigung als Händler und auch in diesem Bereich waren ihre Möglichkeiten noch eingeschränkt. Sie verdienten ihren Lebensunterhalt als Altkleiderhändler oder Trödler, verkauften Schuhwaren oder Lotterielose. Bis ins 20. Jahrhundert waren viele Juden Viehhändler und einige verliehen auch Geld an Nichtjuden. Um ihren Speisevorschriften Genüge zu tun, durften Juden auch selbst Vieh für den Eigenbedarf schlachten und die Teile des Schlachttiers, die als rituell unrein galten (z.B. Innereien und Hinterviertel) an Christen verkaufen. Auch an öffentlichen Märkten konnten sie mit Einschränkungen teilnehmen.
Die hier skizzierten Verhältnisse bestanden seit dem ausgehenden Mittelalter und änderten sich in unserer Gegend erst im frühen 19. Jahrhundert. Nachdem Napoleon ab 1807 die Neuordnung 1 der deutschen Länder erzwang, kam unsere Region zum Königreich Westphalen, das Napoleons Bruder Jérôme regierte. Ab 1808 galt hier deshalb der französische Code Civil der die Gleichberechtigung aller Bürger postulierte und auch die Juden miteinschloss. Damit waren die jüdischen Einwohner der christlichen Bevölkerung erstmals gleichgestellt. Juden durften nun alle Arten bürgerlicher Berufe erlernen und freien Handel treiben. Sie konnten sich überall im Land niederlassen sowie Grundstücke und Häuser erwerben.
Wie sich die neuen Rechte auswirkten, lässt sich am Beispiel Bodenfelde zeigen: Von elf jüdischen Familien, die damals in Bodenfelde lebten, erwarben neun eigene Häuser. Zu den weiteren Neuerungen gehörte, dass die Juden nun dauerhafte Familiennamen annehmen mussten, die sie sich aber selbst wählen durften. Die in Bodenfelde, Wahmbeck und Lippoldsberg lebenden jüdischen Familien entschieden sich für folgende Namen: Simon Calm Moses Herz Isaac Matthies Benjamin Meyer Abraham Bähr Jacob Suesman Gans Isaac Bähr Kumpart Levy Moses Levi Benedix Moses David Moses Kahlberg Herzstein Mansberg Freudenthal Liebenrecht Gansberg Dannenberg Liebenthal Liebenfeld Liebenberg Liebenberg.
Diese Familiennamen waren das Einzige, was blieb, als das Königreich Westphalen nach der Niederlage Napoleons 1813 wieder aufgelöst wurde. Georg III. stellte die alte Gesetzeslage umgehend wieder her und nahm damit die rechtliche Gleichstellung der Juden wieder zurück. Im 1814 erstandenen Königreich Hannover änderte sich nichts an der Stellung der Juden. Das änderte auch das 1842 durch König Ernst-August von Hannover erlassene „Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Juden“ nicht.
Eine Folge dieses Gesetzes war allerdings, dass die Landdrostei Hildesheim 1843 den Zusammenschluss der Juden in Bodenfelde, Wahmbeck und Uslar zum Synagogenverband Bodenfelde-Uslar verfügte. Der neu entstandene Synagogenverband gehörte zum Landrabbinat Hildesheim und bildete – wie alle jüdischen Gemeinden – eine autonome Gemeinschaft. Der Landrabbiner hatte als religiöses Oberhaupt in allen Fragen der Religion die Entscheidungsbefugnis und Rechtsstreitigkeiten. besaß die Zivilgerichtsbarkeit innerhalb jüdischer Das Zentrum des Synagogenverbands war zunächst Bodenfelde, wo sich auch die 1825 eingeweihte Synagoge befand. Außerdem gab es in Bodenfelde eine Religions- und Elementarschule in der auch eine Mikwe für rituelle Bäder untergebracht war.
Das Streben der Juden nach Gleichberechtigung kam indes nur langsam voran. Der außerordentliche Landtag verabschiedete im Revolutionsjahr 1848 das „Gesetz zur Aufhebung der aus dem religiösen Bekenntnis entspringenden Ungleichheiten“. Dennoch gelang es dem Uslarer Kaufmann Gabriel Moses Oppenheimer trotz makellosem Leumund und hohen 2 Ansehen zeitlebens nicht, in die Kaufgilde unserer Stadt aufgenommen zu werden. Auch sein Sohn Daniel musste noch mehrere erfolglose Anträge stellen, bis er 1854 schließlich doch noch aufgenommen wurde. Im selben Jahr verlieh ihm die Stadt Uslar auch das Bürgerrecht und 1866 wählten die Uslarer Daniel Oppenheimer als ersten Juden in den Stadtrat.
Die hier ansässigen Juden sahen Uslar und Bodenfelde als ihre Heimat an und wollten sich hier am öffentlichen Leben beteiligen. Eine Zäsur in diesem Streben stellt der deutsch-französische Krieg 1870/71 dar. Damals zogen auch die jüdischen Männer mit in den Krieg um ihren Patriotismus zu beweisen. In der Zeit des Deutschen Kaiserreichs wurden die vaterländischen Feiertage - wie der Sedanstag- auch in der jüdischen Elementarschule feierlich mit patriotischen Ansprachen begangen. Auch politisch bezogen die Juden öffentlich Position. Ein Beispiel ist eine Anzeigenkampagne vor den Reichstagswahlen im Jahr 1877 in den Sollinger Nachrichten. David Katzenstein, Kalman Cohen, Joseph Cohen und Meyer Freudenthal riefen darin alle „deutschgesinnten Wähler“ auf, für den nationalliberalen Kandidaten Albrecht zu stimmen.
Ab den 1860er Jahren gründeten sich bei uns zahlreiche Vereine, denen sich auch jüdische Einwohner anschlossen. In Uslar gab es ab 1867 jüdische Mitglieder im Sollingverein, dem Turnklub und dem Radfahrerverein. Selig Katzenstein und Julius Driesen gehörten zu den Gründungsmitgliedern der Freiwilligen Feuerwehr und des Rabattsparvereins. Joseph und Hans Kahlberg sowie Paul Theilheimer waren Mitglieder der Feuerwehr. Julius Driesen, Joseph Kahlberg und Selig Katzenstein sangen im Gesangverein Eintracht mit.
Auch an der wirtschaftlichen Entwicklung hatten die ansässigen Juden in unserer Region ihren Anteil. Sämtliche jüdische Kaufleute spezialisierten sich dabei auf den Handel mit Stoffen, Wäsche und Bekleidung. Sie fuhren zu den Messen in Braunschweig, Leipzig oder Frankfurt und brachten von dort die aktuellen Modetrends mit in den Solling. Sie präsentierten ihre Waren in den neu aufkommenden Schaufenstern ihrer Geschäfte oder besuchten ihre Kunden als Handlungsreisende. Mit Musterkollektionen zogen sie zu Fuß oder mit dem Fahrrad durch die Sollingdörfer um vor Ort Maß zu nehmen, für Bekleidungsstücke aller Art. Der Unterschied zu den christlichen Kollegen bestand in der konsequenten Ausrichtung des Handels nach religiösen Traditionen. Am Schabbat und an anderen jüdischen Feiertagen blieben ihre Geschäfte geschlossen. Auch bei Beerdigungen und anderen religiösen Familienfeier blieben die Geschäfte zu.
An industriellen Unternehmungen waren Juden als Gründer oder Teilhaber beteiligt. Anfang der 1890er Jahre gründete der Berliner Bankier Gerson von Bleichröder in Volpriehausen die „Consolidierten Sollinger Braunkohlewerke“. Die Firma S. Sander Söhne aus Hannover hatte seit 1879 den nördlichen Teil des Basaltsteinbruchs „Bramburg“ in Adelebsen gepachtet. Die Brüder Selig Katzenstein aus Uslar und Moritz Katzenstein aus Hannover finanzierten 1908 den Wiederaufbau der nach einem Brand in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen „Uslarer Möbelfabrik“ und verkauften sie schließlich 1913 an die „Möbelfabrik Neugarten und Eichmann“ in Detmold. 1920 übernahm der aus Hamburg stammende Holzkaufmann Paul Theilheimer die Leitung der „Vereinigten Möbelfabriken Neugarten und Eichmann“, die sich innerhalb weniger Jahre zu einem Industriebetrieb mit rund 500 Beschäftigen entwickelte.
Wenn wir noch einmal speziell auf die Gegebenheiten in Uslar schauen, so war Gabriel Moses Oppenheimer im 19. Jahrhundert lange Zeit der einzige Jude, der mit seiner Familie in unserer Stadt lebte. Erst zwischen 1867 und 1883 zogen vor allem junge jüdische Männer von Bodenfelde nach Uslar. Grund dafür war der Widerstand der Uslarer Kaufgilde, die sich lange 3 gegen diesen Zuzug wehrte. David Katzenstein, Joseph Kahlberg, Julius Driesen, Zerline Herzstein und Gustav Freudenthal überwanden schließlich diesen Widerstand und eröffneten auf der Langen Straße Geschäfte für Tuch- und Manufakturwaren.
Die zunehmende Zahl von Menschen jüdischen Glaubens führte dann in den 1890er Jahren zur Gründung einer Filialgemeinde in Uslar. Im Hinterhaus des Möbelgeschäfts Blomeyer zwischen der Langen Straße und der Mauerstraße entstand in einem ehemaligen Lager ein Betraum. Nach dem Ersten Weltkrieg verlegte die Gemeinde ihren Betsaal für kurze Zeit in das Haus des Kaufmanns Sally Hohenberg in der Mauerstraße. Anfang der 20er Jahre konnte dann ein dauerhafter Betraum im Hinterhaus des Kaufmanns Kahlberg eingerichtet werden.
Vollständig akzeptiert und integriert waren die jüdischen Mitglieder auch in dieser Zeit noch nicht. Die Uslarer Behörden luden Juden am Schabbat vor, wohlwissend, dass sie diese Termine aus religiösen Gründen nicht wahrnehmen durften. Auch jüdische Gottesdienste wurden gestört. Den Gendarmen, den der Kreis Uslar zum Schutz schickte, musste die jüdische Gemeinde selbst bezahlen. Wie schon im deutsch-französischen Krieg, meldeten sich viele jüdische Männer 1914, bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs, freiwillig zur Front. Sie hofften, sich als gute Patrioten bewähren zu können und so die endgültige Gleichberechtigung in der Gesellschaft zu erlangen. Aus Uslar und Bodenfelde zogen folgende jüdische Männer in den Ersten Weltkrieg: Albert Freudenthal Hugo Hammerschlag Harry Katz Richard Katzenstein Felix Meyer Berthold Schaumburg Jacob Simon Paul Theilheimer Alfred Treumann Obwohl Jacob Simon, Paul Theilheimer und Alfred Treumann für ihre Tapferkeit ausgezeichnet wurden, galten jüdische Soldaten weiterhin als Drückeberger, die sich nur weit hinter der Front aufhielten.
Nach dem Krieg wählten die Uslarer Bürger 1918 den Kaufmann Selig Katzenstein zum stellvertretenden Bürgermeister der Stadt. Er war bereits seit 1905 Bürgervorsteher im Rat und der erste Jude in diesem städtischen Amt. 1923 musste er seine Ämter aus gesundheitlichen Gründen niederlegen und zog nach Düsseldorf. Die Sollinger Nachrichten bedauerten dies in ihrer Berichterstattung mit den Worten: „Sein Scheiden bedeutet für die Stadtverwaltung einen empfindlichen Verlust. Es dürfte in der gegenwärtigen Zeit, in der es mehr denn je gilt, Gegensätze unparteiisch auszugleichen und versöhnend zu wirken, nicht leicht sein, eine geeignete Persönlichkeit als Ersatz zu finden.“
Wie sich der Wind langsam drehte, merkte man schon zwei Jahre später, als die jüdische Gemeinde 1925 ihr 100-jähriges Bestehen feierte. Die Sollinger Nachrichten kündigten das Fest nur mit drei Zeilen an und berichteten nicht über seinen Verlauf. 4 Ein Grund dafür mag gewesen sein, dass der „Jungdeutsche Orden“ im Solling ab 1923 viele Anhänger fand. Der Orden war eine nationalistisch und stark antisemitische Vereinigung, aus der sich später zahlreiche Mitglieder der NSDAP rekrutierten. Besonders auf den bei uns gut besuchten „Deutschen Abenden“ verbreitete der Jungdeutsche Orden eine antisemitische Stimmung in der Gegend und bereitete den Boden für die Nationalsozialisten.
Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler im Jahr 1933 nahmen in Uslar Kundgebungen mit antijüdischem Charakter stark zu. Nach Parteiveranstaltungen der NSDAP zogen Teilnehmer gröhlend und Hetzlieder singend durch die Stadt. Im Schutz der Dunkelheit gingen die Fensterscheiben jüdischer Wohn- und Geschäftshäuser zu Bruch und antisemitische Parolen wurden auf die Wände geschmiert. Am 1. April 1933 fand im ganzen Deutschen Reich ein Boykott jüdischer Geschäfte statt. Auch in Uslar standen Mitglieder der NSDAP vor den jüdischen Läden und hinderten Kunden daran diese zu betreten. In das Kaufhaus Kahlberg drangen SA-Leute ein um dort Warentische umzuwerfen. Nur durch das mutige Auftreten von zwei Verkäuferinnen konnten sie wieder aus dem Geschäft gedrängt werden.
Diese Aktion und die ständigen Aufrufe, nicht bei Juden zu kaufen, zeigten relativ schnell Wirkung und führten zu einem erheblichen Umsatzrückgang bei den jüdischen Geschäftsleuten. Hilfe und Solidarität erhielten die Uslarer Juden auch nicht von der evangelisch-lutherischen Kirche vor Ort. Auf vielen Veranstaltungen der NSDAP in Uslar trat Pastor Wilhelm Beye aus Wenzen auf, der später Landesbischof in Braunschweig wurde. Unter dem Einfluss des Uslarer Superintendenten Haller nahmen die Kirchengemeinden im Altkreis Uslar ebenfalls eine sehr positive Haltung zum Nationalsozialismus ein. Er betrieb auch den Anschluss aller Gemeinden in seinem Zuständigkeitsbezirk an die sogenannten „Deutschen Christen“, die ebenfalls massiv gegen die Juden polemisierten.
Seit 1935 standen am Ortseingang von Uslar und den umliegenden Dörfern Schilder, auf denen Juden davor gewarnt wurde, dass sie den Ort auf eigene Gefahr betreten. Zuerst an Geschäftshäusern, später auch an Privathäusern, mussten kleine Emailschilder angebracht werden, auf denen „Juden nicht erwünscht“ stand. Auf Anordnung der NSDAP-Ortsgruppe Uslar wurden Anfang September 1935 auch Schilder mit der Aufschrift „Deutscher Handwerker“ und „Deutscher Kaufmann“ an alle nach ihrer Definition „arischen“ Geschäfte verteilt, damit ihre „deutschen Volksgenossen“ wussten, wo sie einzukaufen hatten.
Die wirtschaftliche Lage der jüdischen Geschäftsleute wurde durch die zunehmend feindselige Haltung ihrer nichtjüdischen Mitbürger immer schwieriger, so dass sich immer mehr von ihnen gezwungen sahen ihre Geschäfte aufzugeben. Sie mussten ihre Häuser häufig unter Wert verkaufen und zogen dann zu Verwandten in größere Städte oder emigrierten ins Ausland. Als konkretes Beispiel lässt sich das Schicksal der Familie Kahlberg anführen. Der Umsatz in ihrem Kaufhaus ging durch die Boykottmaßnahmen von 238.749 RM im Jahr 1930 auf 20.000 RM im Jahr 1935 zurück. Im September 1935 entschlossen sich deshalb Minna und Julius Kahlberg zu emigrieren. Die Sollinger Nachrichten kommentierten dies auf folgende Weise: „Die entschiedene Ablehnung jeglichen privaten und geschäftlichen Verkehrs mit Juden hat sich in Uslar erfreulicherweise dahin ausgewirkt, daß sich die Inhaber des jüdischen Kaufhauses entschlossen haben, unsere Stadt zu verlassen. Von der gesamten Einwohnerschaft unserer Stadt wird diese Tatsache sehr begrüßt.“
Nach der Emigration verwaltete das 5 Finanzamt Northeim das ehemalige Geschäftshaus der Familie in der Langen Straße treuhänderisch und verkaufte es schließlich 1938. Wie Herr Bauer bereits sagte, blieb es am 9. November 1938 in Uslar ruhig, da sich nur noch die getaufte Jüdin Gertrud Birnbaum in der Stadt befand und es hier auch keine Synagoge oder einen Friedhof gab, die zum Ziel der Übergriffe werden konnten. Die Apothekerin Birnbaum war auch die erste, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zurück nach Uslar wagte. Sie arbeitete nach dem Krieg wieder eine Zeit lang in der Ratsapotheke. Ende Oktober 1949 kehrte auch Hans Kahlberg zurück und eröffnete 1950 das väterliche Bekleidungsgeschäft in der Langen Straße wieder.
Eine jüdische Gemeinde ist nicht wieder entstanden. Heute erinnern noch die 2008 von dem Kölner Künstler Gunther Demnig verlegten „Stolpersteine“ an die jüdischen Mitbürger in unserer Stadt. Ich wollte mit meinem ausführlichen Blick in die Geschichte verdeutlichen, dass die Nationalsozialisten den Antisemitismus nicht erfunden haben und auch in unserer Region auf tiefsitzende historische Wurzeln aufbauen konnten. Es gab in Uslar in weiten Teilen seiner Geschichte nur sehr wenige oder gar keine Juden und unsere Stadt war auch kein Zentrum des jüdischen Glaubens. Dennoch konnte der Antisemitismus viele Jahrhunderte überleben und trat immer wieder offen zu Tage. Erst ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert konnten sich die Juden Hoffnungen machen, dass die Zeit der Ausgrenzung überwunden werden könnte.
Doch binnen weniger Jahre wendete sich das Blatt auch in unserer scheinbar so idyllischen Sollingmetropole. In der Geschichte können sich die tiefsten Abgründe ganz plötzlich auftun und jede Generation hat es in der Hand zu reagieren, wenn sich erste Risse zeigen! Quelle: Detlev Herbst & Berndt Schaller: Spuren jüdischer Geschichte zwischen Solling und Weser. Die Synagogengemeinden Bodenfelde-Uslar-Lippoldsberg und Lauenförde, Verlag Jörg Mitzkat, Holzminden 2014."